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Europa soll Aramäisch bewahren, da die Sprache Jesu in Gefahr ist | NOZ


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    Herr Arnold, welche Bedeutung hat Aramäisch für das Christentum?

    Die Bücher Daniel und Esra des Alten Testaments sind in Biblisch-Aramäisch. Die Evangelien aber sind auf Griechisch. Die aramäische Fassung, auf der diese griechischen Formen beruhen, kennen wir nicht. Und die Bibelübersetzung aus dem 2. Jahrhundert ist aus dem Griechischen übersetzt. Sie erfolgte übrigens in einem ost-aramäischen Dialekt, der im damaligen Edessa und heutigen Urfa in der Türkei gesprochen wurde. Jesus selbst hat einen west-aramäischen Dialekt gesprochen.

    Können Sie uns etwas mehr über diese Dialekte sagen?

    Das Westaramäische oder auch Neu-Westaramäisch wird nur noch in drei Dörfern im Anti-Libanon-Gebirge in Syrien gesprochen. Sprecher der viel größeren Gruppe des Ost-Aramäischen gibt es noch von der Provinz Mardin in der Ost-Türkei bis an den Urmiasee im Iran. Die Sprecherzahl im Orient ist relativ klein. In der Türkei gibt es heute vielleicht noch 2000 Aramäer. Aramäisch wird heute also nur noch in kleinen, vereinzelten Sprachinseln gesprochen. Ein großes durchgehendes Gebiet gibt es nicht.

    Wie weit war die Sprache zu Zeiten Jesu verbreitet?

    In dem ganzen Gebiet vom Mittelmeer bis Mesopotamien. Aramäisch hatte damals alle anderen Sprachen verdrängt, also Hebräisch, Phönizisch und Babylonisch.

    Warum war die Sprache so erfolgreich?

    Die genauen Gründe kennen wir nicht. Auf jeden Fall war Aramäisch aber mit 22 Buchstaben als Schreibschrift viel einfacher zu handhaben als die Keilschriftsprachen in Mesopotamien mit 1000 verschiedenen Schriftzeichen.

    Wie viele Menschen beherrschen heute noch Aramäisch?

    Noch über eine Million. Die meisten leben aber nicht mehr im Vorderen Orient, sondern in Europa und in Amerika. Allein in Deutschland gibt es etwa 70000 Aramäer aus der Türkei.

    Sprechen die noch ihre Muttersprache?

    Ja. Denn sie sind ja noch nicht so lange hier. Einige kamen als Gastarbeiter in den 60er-Jahren, dann später als Flüchtlinge vor den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und der türkischen Armee in der Provinz Mardin.

    Und jetzt kommen sie als Flüchtlinge aus Syrien... .

    Nach der Christenverfolgung und -vertreibung 1915 im Osmanischen Reich sind sehr viele Aramäer aus der Türkei nach Syrien geflüchtet und haben sich in Ost-Syrien niedergelassen, das ja jetzt weitgehend auch vom Islamischen Staat besetzt ist. Mit Ausnahme von einigen Aramäern, die in den kurdischen Gebieten siedeln, sind sie jetzt alle auf der Flucht.

    Gibt es Zahlen darüber, wie viele aramäische Flüchtlinge bisher nach Deutschland gekommen sind?

    Nein. Fakt ist aber, dass es in Ost-Syrien etwa 30 aramäische Dörfer gab. Heute sind sie alle verlassen.

    Und was ist mit den Aramäern im Irak?

    Dort gibt es noch eine Gruppe von Aramäern in der Mossul-Ebene. Soweit die Dörfer dort vom Islamischen Staat besetzt sind, sind die aramäischen Bewohner nach Irakisch-Kurdistan geflohen.

    Wird das Aramäische überleben?

    Das Ost-Aramäische in Syrien hat wohl keine Zukunft mehr. Das wird verschwinden. Das Schicksal des Aramäischen, das noch in Irakisch-Kurdistan gesprochen wird, hängt davon ab, was aus diesem autonomen Gebiet wird. Wenn die Türken und die Araber es dulden, hat die Sprache dort gute Chancen zu überleben, denn es gibt dort viele Aramäer. Sollten sich die Türkei und die Araber aber entschließen, diesen Staat zu bekriegen und aufzulösen, dann wird es noch eine Flüchtlingswelle von Aramäern geben.

    Und für Syrien gibt es keine Hoffnung mehr?

    Noch habe ich die Hoffnung, dass zumindest in dem Dorf Maalula das Aramäische erhalten bleibt. Ich habe einen Hilfsverein für die Aramäer dort gegründet, damit sie wieder in ihr Heimatdorf zurückkehren können. In Europa hat die Sprache ja auf Dauer auch keine Überlebenschance. Allein schon deshalb, weil die Gemeinschaften der Aramäer auseinandergerissen werden.

    Das ist ja auch wirklich ein Problem: Weil das die Integration fördert, sollen die Flüchtlinge bei uns möglichst schnell die Deutsche Sprache erlernen. Damit fördern wir aber gleichzeitig einen Prozess, an dessen Ende das Aramäische, das ja auch zum christlichen Welterbe gehört, endgültig verloren geht...

    Das ist richtig. Ich bin auch nicht dafür, dass die Emigranten, die nach Deutschland kommen, alle ihre Sprache aufgeben. Ich bin für die Förderung von Zweisprachigkeit. Das hat nur Vorteile für die Kinder. Deshalb kann ich auch nicht verstehen, dass es in Deutschland nur sehr wenige zweisprachige Kindergärten gibt.

    Wobei dann natürlich die zweite Sprache unter den gegebenen Umständen wahrscheinlich nicht Aramäisch sein müsste, sondern dann wohl eher Türkisch...

    Für die Türken natürlich Türkisch, für die Aramäer könnte es sehr gut auch Aramäisch sein. Noch ist das auch zu machen: Denn die Aramäer aus der Türkei siedeln alle in etwa 20 Orten in Deutschland. Die bilden große Gemeinden und könnten deshalb sehr gut sowohl zweisprachige Kindergärten als auch Schulen haben.

    Aber erklärtes Ziel der deutschen Flüchtlingspolitik ist es heute, die Menschen möglichst breit zu verteilen und Gruppenbildungen zu vermeiden...

    Das verstehe ich. Und das trifft sicher auch zu, wenn zum Beispiel eine Million Araber kommen. Außerdem ist Arabisch keine aussterbende Sprache. Beim Aramäischen geht es aber darum, eine gefährdete Sprache zu erhalten, die im Orient keine Überlebenschance mehr hat. Die Politik hat gegenüber dem Aramäischen eine ganz andere Verantwortung als gegenüber dem Arabischen.

    Wie müsste denn in Bezug auf gefährdete Sprachen wie Aramäisch Politik aussehen?

    Ich appelliere an den Staat, dafür zu sorgen, dass Sprachen wie das Aramäische auch in Europa erhalten werden. Das gelingt am besten, wenn man die Aramäer nicht auseinanderreißt, sondern an einem Ort ansiedelt. Gleichzeitig plädiere ich dafür, dass wir die noch im Orient lebenden aramäischen Christen unterstützen und ihnen helfen, dass sie dort bleiben können. Das Christentum hat seine Wiege im Orient. Es wäre schade, wenn es dort ausgelöscht würde. Das wäre wie Italien ohne Katholiken. Das geht einfach nicht. Leider ist das Interesse an den orientalischen Christen bei uns aber nicht besonders groß.

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    Author: Maria Lewis

    Last Updated: 1703198642

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